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Wenn Behörden am Zeiger drehen

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Gestern wurde in Deutschland wieder dem halbjährlichen Ritual des kollektiven Uhrenverstellens nachgegangen. Während mein Radiowecker dies automatisch verrichtet, musste ich bei meiner Armbanduhr und in meinem Auto selbst Hand anlegen. Diese Tätigkeit erinnerte mich an ein Gedankenspiel einer meiner Professoren im ersten Bachelor-Semester. Prof. Thome hatte einen unvergesslich skurrilen Stil, wodurch er garantiert vielen seiner Absolventen im Gedächtnis blieb. Zu Beginn einer Vorlesung zeigte er uns zwei Zahnpastatuben und fragte uns, welche wir bevorzugen würden. Bevor du weiterliest, denk‘ kurz darüber nach und beantworte die Frage für dich.

Zahnpasta mit Drehverschluss Zahnpasta mit Klappverschluss

Auf den ersten Eindruck passt so eine Frage wohl besser in eine Marketing-Vorlesung. Als Wirtschaftsinformatiker ging es ihm hierbei jedoch vielmehr um Prozessoptimierung. Und zwar stoppte er die Zeit, die er benötigt, um jeweils einen Drehverschluss und einen Klappverschluss zu öffnen. Angenommen das Drehen braucht durchschnittlich 1,3 Sekunden länger. Einmal aufgrund des mechanischen Vorgangs und weil man manchmal am Ende die Kappe suchen muss. Zu der Zeit waren wir etwa 20 Jahre alt und hatten noch ca. 60 Jahre Zähneputzen vor uns (ehe Gebisse, Pflegekräfte oder Roboter übernehmen). Wenn wir aronal-elmex-mäßig zweimal am Tag zur Tube greifen, sind das also 43.800 Vorgänge. Ein Klappverschluss-Nutzer spart über diesen Zeitraum knapp 16 Stunden Zeit ein, weshalb es für den Professor nur ein bevorzugtes Tubendesign geben konnte.

Zurecht fragt man sich: was fange ich mit der gewonnenen Sekunde an? Hierin wird das Wesen der Wirtschaftsinformatik deutlich – wenn auch auf etwas absurde Weise. Eine tägliche Ersparnis im Sekundenbereich rechnet sich eher in produzierenden Betrieben, vor allem wenn sie über hunderte Maschinen skaliert.

Doch zurück zur Zeitumstellung. Meiner manuellen Justierung wohnt nämlich der gleiche Zauber inne. Hochgerechnet auf Millionen von Menschen wird diese mäßig nervige Angelegenheit zur volkswirtschaftlichen Katastrophe </hyperbel>. Und man bedenke nur die ganzen Zeilen Programmcode in zeitkritischen Systemen, lediglich deshalb geschrieben und ausgeführt, weil ein Tag im Jahr 23h hat und ein anderer 25h. Es gibt sowieso bereits eine Weltzeit, warum nutzen wir sie nicht konsequent? Für die globalisierte Welt brächte das viele Vorteile. Dann geht mancherorts um 7 Uhr die Sonne unter (Vorschlag: Mallorca) und meine Oma isst nicht mehr um Punkt 12 Uhr zu Mittag. Doch die Welt wäre ein Stück einfacher – womöglich durch den vereinigenden Spirit einer einheitlichen Zeit sogar friedlicher.

Die gebetsmühlenartig wiederkehrende Debatte um Schlafstörungen, Verkehrsunfälle und verfehlte Ressourcenschonung will ich gar nicht bemühen. Vielleicht sollten wir uns nicht so sehr nach der selbsterfundenen Zeitmessung ausrichten, sondern nach den natürlichen Instinkten. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die wieder zeitgleich zur Sonne aufstehen kann.